Kritik an Gesundheitspolitik „30 Prozent der Bevölkerung werden ausgegrenzt“

Von Natalie Ziebolz 4 min Lesedauer

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In der Woche rund um Christi Himmelfahrt tagt traditionell der Deutsche Ärztetag, das „Parlament der deutschen Ärzteschaft“. Dort wurde nicht nur die Spitze der Bundesärztekammer (BÄK) neu gewählt, auch der Zustand des Gesundheitssystems wurde heiß diskutiert – Kritik an den Entscheidern inklusive.

Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt eröffnete den 127. Deutschen Ärztetag mit einer kritischen Rede zum Zustand des Gesundheitssystems
Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt eröffnete den 127. Deutschen Ärztetag mit einer kritischen Rede zum Zustand des Gesundheitssystems
(Bild: Gebhardt)

Die Gesundheitspolitik der Ampel-Regierung gerät zunehmend in die Kritik. Das zeigte sich auf dem Ärztetag 2023. Ein großes Thema: die Gesundheitsdaten, ihre Speicherung und Verwendung. Heiß diskutiert wurde dabei unter anderem die Frage, ob die die bisher dezentral erstellten und gespeicherten Daten in Praxen und Kliniken automatisiert in zentrale Datensilos (Clouds) unter Verwaltung der Krankenkassen „abfließen“ soll. „Hier geht es um die Steuerung des Gesundheitswesens und viel Geld. Kassen wollen vom Payer zum Player werden und verschiedene Firmen, beispielsweise aus den Bereichen Pharmaindustrie und IT, möchten daran verdienen“, erläutert Dr. Silke Lüder, Vize-Vorsitzende der Freien Ärzteschaft und Delegierte der Ärztekammer Hamburg.

Auch die geplanten Änderungen bei der elektronischen Patientenakte – Opt-out-Regelung und Freigabe der Daten für Forschungszwecke – kommen bei der Ärzteschaft nicht gut an. „Der Bundesdatenschützer soll per Gesetz quasi künftig entmachtet werden, und 30 Prozent der Bevölkerung werden ausgegrenzt“, so Lüder. Nämlich all jene, die nicht über eine entsprechende Smartphone-App, PIN-Nummer und eine elektronische ID die Möglichkeit besäßen, E-Rezepte oder eine elektronische Patientenakte (ePA) zu managen.

EU-Gesundheitsdatenraum: Mehr Patientenrechte gefordert

Ähnlich sieht es auf europäischer Ebene aus: Zwar begrüßt der 127. Deutsche Ärztetag die EU-Pläne im Allgemeinen, die Abgeordneten fordern jedoch Nachbesserung insbesondere bei den Rahmenbedingungen zur Nutzung von Patientendaten für Forschungszwecke.

Entscheidend für den Erfolg des EU-Gesundheitsdatenraums sei, dass Patientinnen und Patienten ein sofortiger und einfacher Zugang zu ihren Gesundheitsdaten ermöglicht werde und sie einer Datenweitergabe zu Forschungszwecken widersprechen könnten, ohne dass ihnen dadurch Nachteile entstehen, betonten sie. Auch müsse die unerwünschte Re-Identifizierung von Patientinnen und Patienten anhand ihrer Gesundheitsdaten verboten und wirksam sanktioniert werden. Dafür seien alle technischen und organisatorischen Maßnahmen zu treffen.

Darüber hinaus sei es nicht zielführend, den Angehörigen von Gesundheitsberufen umfangreiche Datenlieferungspflichten aufzuerlegen – gerade in Hinblick auf den zunehmenden Fachkräftemangel. Der Ärztetag forderte deshalb den Gesetzgeber auf, alle im Gesundheitswesen Tätigen vor einer Überforderung durch kostenintensive Anforderungen an Infrastruktur und Interoperabilität sowie durch Datenlieferungspflichten zu schützen. Insbesondere Arztpraxen seien von der Pflicht auszunehmen, Daten für die Sekundärnutzung zu liefern.

„Mitbestimmungsmöglichkeiten der Ärzteschaft existieren nicht“

Doch auch die eigenen fehlenden Mitbestimmungsmöglichkeiten wurden auf dem Ärztetag thematisiert. „Die letztes Jahr geforderten echten Mitbestimmungsmöglichkeiten der Ärzteschaft existieren nicht, die Gematik wird abgeschafft und das Ganze wird weiter vom Staat reguliert – mit entsprechend schlechten Ergebnissen“, fasst Lüder die Situation zusammen.

Die Übernahme der Gematik durch den Bund lehnt die Ärzteschaft daher strikt ab. Die Ausgrenzung der bisherigen Gesellschafter aus der Gematik passe nicht zu der Stärkung der Nutzerorientierung, die das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit der neuen Digitalstrategie für das Gesundheitswesen angekündigt hat, kritisierten die Abgeordneten. Stattdessen müsse die Bundesärztekammer (BÄK) weiterhin Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte in der Gematik haben, die der Rolle der Ärzteschaft im Gesundheitswesen gerecht werden.

„Digitale Lösungen im Nachhinein an die Versorgungsrealitäten anzupassen, wird ansonsten erneut zu Frust und Zeitverzögerungen führen. Wir werden jedenfalls alles daransetzen, dass die Ärzteschaft auch zukünftig wirkungsvoll an der digitalen Transformation des Gesundheitswesens mitwirken kann“, betonte PD Dr. Peter Bobbert, Co-Vorsitzender des BÄK-Ausschusses.

Außerdem sei eine Roadmap der Gematik mit realistischen Planungsannahmen und priorisierten medizinischen Anwendungen zu entwickeln, die die bisherigen gesetzlich vorgegebenen Einführungstermine und fachlich-inhaltlichen Vorgaben für einzelne Anwendungen ersetze.

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