Cardisiographie: Vektorkardiogramm statt EKG Die Vermessung des Herzens per KI

Von Nicola Hauptmann 3 min Lesedauer

Herzerkrankungen bleiben oft lange unerkannt, ein Infarkt kommt für viele Betroffene wie aus dem Nichts. Mit regelmäßigen Checkups per KI-Vektorkardiographie ließen sich dagegen viele Herzinfarkte verhindern, sagt Meik Baumeister. Im Interview stellt er die neue Methode – eine 3D-Analyse der elektrischen Aktivitäten des Herzens – näher vor.

Schnell und nicht-invasiv wie ein EKG, aber weit genauer: Bei der Cardiosiographie erfolgt die Signalaufnahme über Elektroden; innerhalb von vier Minuten wird ein Vektorkardiogramm erstellt
Schnell und nicht-invasiv wie ein EKG, aber weit genauer: Bei der Cardiosiographie erfolgt die Signalaufnahme über Elektroden; innerhalb von vier Minuten wird ein Vektorkardiogramm erstellt
(© Cardisio GmbH)

Ein neues Verfahren, entwickelt vom Start-up Cardisio in Zusammenarbeit mit Experten, ermöglicht einen schnellen und genauen Überblick über Herzgesundheit und Herzinfarktrisiko der Patienten. Dabei wird das Herz nicht-invasiv im dreidimensionalen Raum vermessen, die Daten werden mit Hilfe eines KI-Algorithmus ausgewertet. Für die Weiterentwicklung dieser Methode erhielt das Unternehmen 2023 eine Förderung durch die britische Small Business Research Initiative (SBRI) Healthcare in Höhe von 342.484 £. Meik Baumeister, CEO von Cardisio, erläutert im Interview das Verfahren und die Pläne für die Zukunft.

Herr Baumeister, mit der Entwicklung der Cardisiographie verbinden Sie die Vision, allen Menschen Zugang zu diesem Verfahren zu ermöglichen. Warum sind diese präventiven Herzuntersuchungen aus Ihrer Sicht so wichtig und wie sollten Prävention und Therapie organisiert sein?

Baumeister: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Ab 40-45 Jahren steigt die Zahl der Todesfälle bei Männern durch ischämische Herzkrankheiten kontinuierlich an. Bei Frauen folgt diese Entwicklung ca. 10 Jahre später, also ab einem Alter von 55 Jahren. Da Herzerkrankungen in Deutschland eigentlich gut behandelt werden können, ist eines der Hauptprobleme der Behandler, dass die Patienten ihre Lage falsch einschätzen und zu spät Hilfe holen, vor allen Dingen bei einem Herzinfarkt. Die meisten Herzinfarkte sind zudem auf den schleichenden Prozess einer Atherosklerose zurückzuführen. Diese Erkrankung verursacht allerdings nur sehr selten Symptome. Kurz gesagt, viele Betroffene spüren nichts, bis sie „plötzlich“ einen Herzinfarkt haben. Aus medizinischer Sicht war das Herz aber schon lange krank. Durch regelmäßige Checkups mit der Cardisiographie könnte hier schon viel früher eingegriffen und viele Herzinfarkte verhindert werden. Therapien gibt es viele gute. Arzt und Patient müssen nur wissen, dass etwas vorliegt. Und alte Methoden wie das EKG haben nur eine Aussagekraft von rund 40 Prozent. Mit der Cardisiographie erreichen Sie rund 90 Prozent.

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Wie und von wem wurde das Verfahren entwickelt? Welche Daten haben Sie für die KI genutzt?

Baumeister: Im Sommer 2015 haben wir mit unserem Team begonnen, die Cardisiographie zu entwickeln. Zunächst wurden vektorkardiographische Bio-Signaldaten bei relevanten Patienten gemessen, die aufgrund vorliegender Symptome zu einer Katheter-Untersuchung in eine von damals drei kooperierenden Kliniken überwiesen wurden.

Die elektrischen Daten wurden dann mit den Ergebnissen der Katheter-Untersuchung korreliert, kardiologisch bewertet und im Anschluss für das Training der KI-Algorithmen verwendet.

Die Cardisiographie führt pro Messung rund 3,2 Millionen Berechnungen durch, bei denen die vektorkardiographischen Parameter analysiert werden. Die Ergebnisse werden mit den trainierten Mustern abgeglichen und der Ergebnisreport wird ausgegeben.

Bisher wurden drei klinische Studien durchgeführt. Gibt es auch neuere Auswertungen, nachdem das Verfahren jetzt in mehreren Kliniken und Praxen eingesetzt wurde? Und gibt es Pläne zur Sekundärdatennutzung?

Baumeister: Die Cardisiographie ist zunächst für den Einsatz in der Primärdiagnostik, also beim Hausarzt, vorgesehen. Darüber hinaus untersuchen wir derzeit in Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitätskliniken und in mehreren Studien die Einsatzmöglichkeiten im Bereich der Sekundärdiagnostik. Auch hier ist ein enormes Potential, welches wir gemeinsam mit unseren Studienpartnern Stück für Stück identifizieren und realisieren wollen.

Wie werden Sie die Unterstützung durch die SBRI Healthcare nutzen?

Baumeister: Es geht hierbei um eine sogenannte „real world Studie“. Dabei wird die Cardisiographie im realen Einsatz unter Einbeziehung neuer Kanäle, wie zum Beispiel Apotheken, untersucht. Die Ergebnisse werden uns sehr dabei helfen, die Cardisiographie in ihrer Anwendung weiter zu optimieren und den Nutzen im Rahmen der Prävention zu validieren.

Wie sind die Chancen, dass auch die gesetzlichen Krankenkassen die Leistung bezahlen?

Baumeister: Seit dem 1.1.2023 gibt es erste innovative Krankenkassen, die unser Verfahren vergüten. Über die genauen Voraussetzungen kann sich jeder auf unserer Webseite cardis.io beim Menüpunkt „GKV/HZV“ informieren. Wir stehen auch im Austausch mit weiteren Krankenkassen und hoffen, dass die Cardisiographie baldmöglichst vielen Patienten zur Verfügung gestellt wird. Viele gesetzliche Kassen gewähren zudem individuelle Zuschüsse für Vorsorgeuntersuchungen oder Check-ups. Falls die eigene Kasse ein solches Programm anbietet, lohnt sich eine Nachfrage, ob man unterstützt wird. Dazu kann ich nur jedem raten. Private Krankenkassen haben unser Screening übrigens von Anfang an erstattet.

Meik Baumeister
Co-Founder und CEO der Cardisio GmbH

Bildquelle: Cardisio GmbH

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